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08.06.2018
avant-verlag

Ikon

Ikon

Simon Schwartz ist wohl einer der renommiertesten Comiczeichner hierzulande.

Als Titel für seine umfangreiche Geschichte von Anastasia Romanow, der Zarentochter, und dem Sohn vom Leibarzt der Familie, Gleb Botkin, wählte er IKON, die Bezeichnung für ein „Heiliges Gemälde“.Von deren Kindheit zu Anfang des 19. Jahrhunderts über die Nachkriegszeit des 2. Weltkrieges und der Ära der Hippies bis zur Mitte der 80ger Jahre beschrieb und zeichnete er  diese Geschichte nach wahren Begebenheiten nach.

Die beiden lernten gemeinsam in der Schule und spielten im Garten. Bis zu den brutalen Geschehnissen Mitte der Revolution, als die gesamte Zarenfamilie ausgelöscht werden sollte, schwärmte Gleb von Anastasia und verlor sie mit diesen. Doch im Berlin der 20ger Jahre wird eine junge Frau aus dem Wasser gefischt, deren Identität zunächst unklar ist. Die Ähnlichkeit mit der jüngsten Zarentochter ist allerdings frappierend. Aber die angereisten überlebenden Angehörigen aus Russland zweifeln, denn die vermeintliche Anastasia ist traumatisiert, redet kaum und ist überhaupt äußerst verwirrt! Im Laufe der Story werden Ursachen dafür enthüllt. Ein paar Jahre später erfährt Gleb, jetzt in Übersee, wo er seine eigene Kirche gegründet hat, die obskure “Church of Aphrodite“, von Anastasia, die in Berlin in einer Nervenanstalt weilt. Auch die Hintergründe der „Church of Aphrodite“ werden im Folgenden erzählt. Also reist er nach Deutschland und die kuriose Geschichte von zwei entwurzelten Seelen geht tragisch und auf verrückte Weise weiter bis zum bitteren Finale: Die Erlebnisse der Vergangenheit fordern ihren Tribut und beide können ihrem psychotischen Wahn nicht entkommen …

In vielen Rückblenden werden viele Geschehnisse einzeln aus der Stringenz der Story gerissen. Die wohl bekannte Historie der Romanows und der überlebenden Tochter wird in schwermütigen Bildern nacherzählt. Die Sprünge der Zeitebenen sind bisweilen sehr abrupt und nicht immer leicht nachzuvollziehen. Ebenso die unvermittelt eingebauten Seiten über Ikonen, die allerdings sehr interessant und aufschlussreich sind, und in einem anderen Zeichenstil (mehr Grautöne) angemessen dargestellt sind! Ansonsten wirkt die Grafik einem Holzschnitt nicht unähnlich, dicke Linien und fast ausgeglichenes Verhältnis von Schwarz und Weiß, manchmal mit grobpixeligem Raster unterlegt. Die Erzählung spannt sich über fast sechs Jahrzehnte und einige davon werden dementsprechend zeichnerisch charakterisiert. Die außergewöhnlichen Bilder haben einen strengen Anstrich, sind auch in gewisser Weise herb überzeichnet, die Motive sind jedoch jederzeit figürlich zu erkennen. Eine Graphic-Novel mit künstlerischem Anspruch, aber nicht sonderlich spannend, interessant, ja. Ein Gewinn ist die sachkundig mitgelieferte Entstehungsgeschichte der christlichen Ikone, der man auch mystische Heil-Kräfte zuschrieb/-schreibt; ebenso der Anhang mit historischen Bildern und Erläuterungen. Und der Bezug zum Titel ist klar: Anastasia als Ikone, auf die Gleb Botkin sein Seelenheil projiziert, sie anbetet und Heil erwartet! Eine schöne Geschichte, die alternativ zu den herkömmlichen Dokumentationen und unterhaltend mit Beiwerk erzählt wird.

Ikon
Zeichnungen und Text: Simon Schwartz
216 Seiten
avant-verlag
25,00 Euro

Autor: Rolf Pressburger