Hier legt er mit Royal City eine fast alltäglich anmutende Story vor, die allerdings mystische Ele-mente enthält. Er zeichnete sie auch selbst.
Tommy ist zwar schon etliche Jahre tot, aber er „geistert“ ständig im Leben (oder nur in den Köp-fen?) der Hinterbliebenen herum. Sowohl seinen Eltern als auch seinen Geschwistern begegnet er immer wieder mal und stiftet Verwirrung. Seine Familie hat sich untereinander entfremdet. Kon-flikte treten bislang unterschwellig zutage.
Da hat der Vater einen Hirnschlag. Und psychologische Verwirrung und Chaos brechen aufgrund alter unbewältigter Dinge aus.
Der älteste Sohn der Familie scheint sein Leben einigermaßen in den Griff bekommen zu haben. Er schaffte den Absprung und ist erfolgreicher Schriftsteller.
Die Tochter ist Immobilienmaklerin; eines ihres Vorhabens, das Royal City wieder hochbringen soll, ist allerdings auch gleichzeitig der endgültige Untergang einer alteingesessenen Fabrik, die schon länger Probleme hat! Ein intensiver Aspekt in der konfliktreichen Familienaufstellung ist der zweite Sohn, der aufgrund von Süchten abgedriftet, gar nicht in die Handlung involviert, aber Anlass für intensive Streitereien in ihr ist!
Diese Erzählung ist ein großartig konzipiertes Drama mit Anleihen aus einem Krimi. Mit psycholo-gischer Tiefe charakterisiert Lemire seine Protagonisten, lässt sie teils extrem neurotisch, gar psycho-tisch und zunächst rätselhaft agieren.
Erzählerisch schwenkt er in die Chronologie von Vergangenheit in die Gegenwart, von abstrusen Szenen in oberflächlich erscheinende Passagen in neue Offenbarungen.
Die Zeichnungen sind typisch für die grafische Gestaltung von Lemire. Sie wirken eher nicht ganz „rund“ oder ausgearbeitet, skizzenhaft und eigentlich wie noch nicht konkret getuscht! Er kolorierte gewissermaßen auf die gleiche Weise: Sparsam, aspektbezogen und niemals konservativ flächig! Doch die Gestaltung ist nun mal "lemirisch" und gibt so dem Gesamteindruck eine Facette des Ge-genteils einer "heilen Welt". Denn die ist in dieser Geschichte wahrlich nicht vorhanden; obwohl das Ende dann doch ein wenig Happy End zeigt.
Ein außergewöhnliche Graphic Novel, die eine Zeit braucht, um ihre innewohnende Spannung und Stringenz preis zu geben. Anspruchsvoll, ausführlich und durchgehend mit interessanten und über-raschenden Einblicken in die Familiengeschichte, die peu à peu offeriert werden.
Mit etlichen Seiten Zusatzmaterial, Skizzen und Originalcover der 14 Heftausgaben.
Royal City
Text und Zeichnungen: Jeff Lemire
408 Seiten
Skinless Crow
49,90 Euro
Autor: Rolf Pressburger