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25.06.2021
Edition 52: Engels - Revolutionär und Unternehmer

Das Interview: „Es geht um Engels als Mensch, den Mann im Schatten von Marx, den wir in das Rampenlicht holen wollten!“

Das Interview: „Es geht um Engels als Mensch, den Mann im Schatten von Marx, den wir in das Rampenlicht holen wollten!“

Wie kann ein Sozialist Unternehmer und Lebemann zugleich sein? Wie kommt jemand aus gutem pietistischem Haus dazu, sich für die Arbeiterklasse einzusetzen?

Wie entdeckt ein Idealist, dass Ökonomie die Antwort auf alle gesellschaftlichen Fragen ist?
Diesen Fragen geht die Graphic Novel „Engels – Revolutionär und Unternehmer“ von Christoph Heuer, Fabian W. W. Mauruschat und Uwe Garske nach. Denn Friedrich Engels, geboren 1820 in Wuppertal, war ein Mann voller Widersprüche. Der Historien-Comic erzählt den Lebensweg des Wuppertaler Vordenkers, dessen Analyse der globalen Ökonomie damals wie heute richtungsweisend ist.
Sein Leben zwischen dem pietistischen Wuppertal, den Slums von Manchester und der gehobenen englischen Gesellschaft bildete die Basis für eine Philosophie, deren Folgen die Welt verändert haben.

Das Interview führte Michael Hüster.

PPM: Wie entstand die Idee zum Comic über Engels?
 
CH: Vor ca. 5 Jahren hatte ich zusammen mit Uwe ein Treffen mit Marianne Hilke, der Museumspädagogin des Archäologischen Parks in Xanten, in dem es darum ging, die Möglichkeiten für ein Comic zum Bataveraufstand auszuloten. Immerhin hatte ich zuvor bereits den Familienführer durch den Park illustriert, doch schon auf der Rückfahrt hatten wir das Gefühl, dass es vorerst nichts werden würde und so spielten Uwe und ich uns ein paar Vorschläge für ein anderes Projekt zu. Eine der ersten Ideen war eine Graphic-Novel über Friedrich Engels.
 
UG: Da wir als EDITION52 gerade die sehr feine MITTELALTER - SERIE HAUPTMANN VEIT von NOFI mit übernommen hatten, sprachen Christoph und ich auch den deutschen Bauernkrieg an. Ich berichtete Christoph auch von der neuen historischen Serie bei uns, wobei wir dann auch auf Friedrich Engels kamen, der eines der grundlegenden Werke über den deutschen Bauernkrieg schrieb. Und schon klickte es: Engels, ein „Wuppertaler des 19 Jahrhunderts“, selber Revolutionär und in Deutschland seit 1849 politisch verfolgt, könnte auch selber mal in einer Graphic Novel gewürdigt werden. Dies ist nun gefühlte 5 Jahre her.
 
PPM: Beschreibt mal bitte kurz, worum es in Engels inhaltlich geht?
 
FM: Es geht um Engels als Mensch, den Mann im Schatten von Marx, den wir in das Rampenlicht holen wollten! Der eben nicht nur das Anhängsel von Marx war, sondern eine eigene Persönlichkeit voller Widersprüche, mehr noch als beim großbürgerlich lebenden aber stets in Geldnöten steckenden Marx. Denn Engels konnte mit Geld umgehen, machte einiges an der Börse und in der Firma seines Vaters. Gleichzeitig hat er gesehen, was der Kapitalismus mit den Leuten angerichtet hat und handelte. Es geht darum, was einen klugen und empathischen Mann dazu bringt, die gesellschaftlichen Verhältnisse zu untersuchen und ändern zu wollen. Er hätte ja auch einfach ein bisschen Geld spenden können für die elenden Massen und seinen Reichtum genießen wie die heutigen Philanthropen.

UG: Für mich als Sozialwissenschaftler und in frühen Jahren selbst politisch sehr bewegten Jugendlichen war es mein Ziel, ja vielleicht war es sogar auch eine gewisse moralische Verantwortung, Engels Denken aktuell im Werk anhand des postmodernen entfesselten Neoliberalismus neu zu featuren, denn letztlich haben sich  „nur“ die wirtschaftlichen Orte der Ausbeutung verändert.

PPM: Welche Quellen wurden benutzt, um Engels Leben/Werk im Comic möglichst authentisch zu schildern?
 
CH: Neben den bekannten Biografien waren es bei mir die Schilderungen von Friedrich Lessner, einem langjährigen Weggefährten von Engels, und der sehr umfangreiche Briefwechsel, der in großen Teilen mittlerweile digitalisiert wurde. Das unterscheidet sich schon stark von dem uns übermitteltem Bild des Denkmals Engels, das uns in Bronze gegossen entgegen denkt.
 
FWWM: Unabdingbar war das Standardwerk „Friedrich Engels. Der Mann, der den Marxismus“ erfand von Tristan Hunt, Originaltitel „The Frock-coated Communist: The Revolutionary Life of Friedrich Engels“. Erhellend fand ich auch „Mrs Engels“ von Gavin McCrea, der aus der Sicht von Engels‘ Frau Lizzie Burns erzählt wird.

PPM: Ihr habt den Band zeitlich und räumlich strukturiert und seid in der Zeitabfolge gewechselt. Welche ggf. inhaltliche Gründe lagen der gewählten Strukturierung der Abschnitte des Buches zu Grunde?
 
FM: Eine chronologische Erzählung hätte ein paar kurze, bewegte Lebensabschnitte geschildert, die gekrönt werden von viereinhalb Jahrzehnten an Schreibtisch und Stehpult. Da mussten wir Dynamik reinbringen und haben uns dazu entschlossen, die Action in Engels‘ Leben mit seinen späteren Ideen zu ergänzen, zu konterkarieren und ganz allgemein reagieren zu lassen. Dann auch mal vor und zurück zu springen, weil alles Teil einer langjährigen Entwicklung ist, mit Eindrücken und Erfahrungen, die aufeinander aufbauen. Man könnte den Stil Temporal Hodgepodge, also Zeitenmischmasch nennen.
 
PPM: Es gibt viele historisch Stadtansichten. Gab es dazu Vorlagen?
 
CH: Ja, jede Menge! Aber man muss viel suchen. Für Elberfeld und Barmen, die Stadt Wuppertal wurde ja erst 1929 durch den Zusammenschluss mehrerer Städte gegründet, gab es die Stiche von Wilhelm Riefenstahl aus der Zeit kurz nach dem Elberfelder Aufstand, dann eine Reihe zeitgenössischer Gemälde, die ein gutes Bild der frühen Phase der Industrialisierung ergaben. Ein Besuch im Museum für Frühindustrialisierung brachte ebenfalls unglaublich viel Information und Bilder des von Engels besuchten Gymnasiums stellte uns das Stadtarchiv zur Verfügung.
Für die Slums von Manchester habe ich aus Fotografien und Stichen in zwei Liederbüchern von Roy Palmer, besonders dem 1974 erschienen „A Touch on the Times“, viel Information gezogen. Auch das Spiel Assassin’s Creed Syndicate hat eine sehr inspirierende Anmutung der industriellen Umgebung im viktorianischen England.
 
PPM: Wie entstand die GN?

CH: So richtig begannen wir mit der Konzeption erst im April-Mai 2019. Da wurde klar, dass es zum 200. Geburts- und 125. Todestag ein Engels Jahr 2020 geben würde und die Aussicht auf eine Förderung. Im Eilverfahren zeichnete ich dann zwei Kurzgeschichten und ein paar Blätter zum Elberfelder Aufstand ... und wir bekamen eine Förderung.
 
Nachdem ich mit Fabian Mauruschat die voraussichtlichen Szenen besprochen hatte, begann ich zunächst mit der Recherche und er schrieb das Szenario des ersten Kapitels. Ab Juli begann ich dann über sechs Wochen Storyboards zu zeichnen, die ich Fabian schickte und er so die Szenen weiter ausarbeiten konnte, die ich dann neu oder umzeichnete.  
Bis zum Ende des Jahres hatten wir dann drei Kapitel fertig. Ab Januar kam dann das letzte dran.  
 
PPM: Welche Botschaft habt ihr mit dem Buch verbunden?
 
FWWM: Die einfachste Botschaft ist vielleicht, dass dieses „Gespenst“ Friedrich Engels ein ganz normaler Mensch mit Widersprüchen war. Der viele Ideen hatte, der aber auch nicht für Diktaturen oder autoritäre Staaten einstand, sondern für die ganz unten. Und dass die Probleme seiner Zeit – größtenteils hervorgerufen durch eine unkontrolliert wachsende Ökonomie, errichtet mit der Arbeitskraft entrechteter Menschen, immer noch die Probleme unserer Zeit sind.

PPM: Vielen Dank für die interessanten Einblicke!

Autor: Michael Hüster