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05.08.2020
Ein indisch-deutsches Comic-Projekt, das westliche und östliche Kultur zusammenbringt

Zwerchfell präsentiert: „Die Unterirdischen Städte“ von Fabian Stoltz

Zwerchfell präsentiert: „Die Unterirdischen Städte“ von Fabian Stoltz

In dem indisch-deutschen Comic-Projekt "Die Unterirdischen Städte" von Jai Undurti (*1981) und Fabian Stoltz (*1972), treffen hinduistische Mythologie und Hamburger Gegenwart aufeinander.

Die Story ist mitten im Ersten Weltkrieg (1914-1918) angesiedelt. Britische und deutsche Soldaten stehen sich im Grabenkrieg gegenüber. In der Schlacht überlebt nur ein indischer Soldat unter britischem Befehl und ein Hamburger Landser. Nach einer gewaltigen Explosion werden beide unter der Erde verschüttet. Gemeinsam versuchen sie nun aus der Tiefe zu entkommen und finden sich plötzlich auf einer Reise durch das Innere des Planeten wieder.

Der Comic bringt westliche und östliche Kultur zusammen und ist ein anspruchsvoller Mix aus Genres wie Kriegsfilm, Road Movie, Horror und Fantasy.

PPM stellte Fabian Stoltz Fragen rund um das Projekt.



PPM: Eine indisch-deutsche Comic-Gemeinschaftsarbeit ist schon sehr selten.
Wo habt ihr euch kennengelernt? Und wie und wann seid ihr auf die Idee gekommen, etwas im Comicbereich zusammen zu machen? Wie entstand dann konkret die Idee zum Comic „Die Unterirdischen Städte“ bzw. das Thema WK 1?


Fabian Stoltz: Jai, der in Hyderabad lebt, wurde von der Leiterin des dortigen Goethe Zentrums, Amita Desai, angesprochen, eine indisch-deutsche Comic-Koproduktion zu machen. Hintergrund ist das „040“-Projekt, eine Partnerschaft zwischen Hyderabad und Hamburg, die auf der gleichen Telefon-Vorwahl basiert. Er zeichnet nicht, sondern schreibt Szenarios und arbeitet als Journalist. Er war also auf der Suche nach dem zeichnerischen Gegenpart aus Hamburg und hatte Line Hoven angeschrieben, die er bei ihrem Besuch in Indien kennengelernt hatte. Sie und ich arbeiten im gleichen Atelier, und sie empfahl mich weiter.
Der Comic sollte 2017 im Foyer des Hamburger Rathauses ausgestellt werden, anlässlich einer alle zwei Jahre stattfindenden Veranstaltung namens „India Week“. Wir haben uns also Mitte 2017 über Mail und Skype kennengelernt und eine erste 13-seitige Version der Geschichte geschaffen. Zur India Week kam Jai nach Hamburg, und Anfang 2018 wurde ich nach Indien eingeladen. Da haben wir beschlossen, das Ganze zu einem Band zu erweitern, der dann bei der India Week 2019 vorgestellt wurde.
Die Idee des Comics war entsprechend des „040“-Projekts von Anfang an, die beiden Städte Hamburg und Hyderabad zu verbinden. Jai ist ein großer Fan von Steampunk, Jules Vernes, der Liga der außergewöhnlichen Gentlemen etc... Er hatte schon länger die Idee, ein Abenteuer zu erzählen, dass in einer Hohlerde spielt.
Der Nizam (Fürst) von Hyderabad hatte den Briten im 1. Weltkrieg mehrere zehntausend Soldaten zur Verfügung gestellt. Das war also der Ausgangspunkt für die Begegnung der beiden Protagonisten, die aus den beiden Städten kommen. In Hyderabad gibt es viele Tunnel, in denen regelmäßig nach verborgenen Schätzen gegraben wird. Die Theorie der Hohlerde bot die Möglichkeit, die beiden auf ihr unterirdisches Abenteuer zu schicken. In „Reise zum Mittelpunkt der Erde“ kommt die Hauptperson, Professor Lidenbrock auch aus Hamburg.

PPM: … und wie die Verbindung zum Zwerchfell Verlag?

Fabian Stoltz: Die habe ich angefragt, und sie haben zugeschlagen. Ich kannte die Verleger schon vorher, und das passte ins Programm.

PPM:  Seit wann bist du als Comic-Künstler tätig? Was waren deine bisherigen Arbeiten?

Fabian Stoltz: 2001 habe ich mein erstes Heft selbst verlegt, das war „Ok, Griechenland.“ bis 2008 habe ich noch drei weitere gemacht, die bei Schwarzer Turm herausgebracht wurden. Die Serie heißt „Geschichten aus den Neunzigern“
Von 2009-2015 hatte ich eine Serie „was davor geschah“ in der Zeitung „Der Freitag“. 2018 ist bei Breitkopf Editionen der Sammelband erschienen. Aktuell arbeite ich mit zwei Szenarist*innen an einer Geschichte über das Rotlichtmilieu in St. Pauli in den achtziger Jahren, zwei Hefte haben wir bisher selbst herausgebracht, der dritte kommt und zwei weitere folgen. Das Ganze soll dann als Buch bei einem Verlag erscheinen.

PPM:  Beschreib bitte kurz, worum es in „Die Unterirdischen Städte“ geht…

Fabian Stoltz: An der Westfront im ersten Weltkrieg treffen der deutsche Hans und der Inder Shivanna aufeinander. Sie sind die einzigen Überlebenden eines Gefechts und wollen beide desertieren. Shivanna erzählt Hans von einem unterirdischen Tunnelsystem, das alle Städte der Welt miteinander verbindet. Sie beschließen, auf diese Weise nach Hyderabad zu laufen. Auf ihrem Weg treffen sie auf verschiedene Figuren der europäischen und indischen Mythologie. Ein britischer Major und seine Mannschaft verfolgen sie derweil mit einem Panzer.

PPM: Von dir stammen die Zeichnungen, Jai hat das Szenario geschrieben. Wie lief die Zusammenarbeit über die große Distanz?

Fabian Stoltz: Jai hat schon mit diversen Zeichnern über Distanz gearbeitet, für mich war es das erste Mal. Wir haben gemailt und geskypt, außerdem bei den verschiedenen Besuchen in der Stadt des jeweils anderen persönlichen Austausch gehabt. Jai hat mir das Skript geschickt und sehr viel Recherchematerial zusammengetragen, ich habe dann Storyboards gezeichnet, und nachdem wir drüber gesprochen haben habe ich die Seiten gezeichnet. Die fertigen Seiten gingen dann wiederum an den Koloristen Vijay Moparthi, der in Paris lebt.

PPM: Die Story ist ja im 1. Weltkrieg angesiedelt. Hast du Jai mit geschichtlichen Fakten versorgt oder war das nicht notwendig?

Fabian Stoltz: Jai ist sehr an Geschichte interessiert, und da Indien auch am ersten Weltkrieg teilgenommen hat, war es nicht nötig, ihn da groß mit Fakten zu versorgen, eher im Gegenteil. Einige Details zu Hamburg hat er von mir, und Ergänzungen zu seiner Story aus deutscher Sicht. Jai war 2017 das erste Mal in Hamburg, und 2019 nochmal, im Rahmen der oben erwähnten India Week.

PPM: Wie hast du den Comic "handwerklich" umgesetzt?  (Ablauf: Szenario, Skizzen usw.)   
Zeichnest du noch klassisch auf Papier? Warum wurde eine recht farbenfrohe Kolorierung zum sonst sehr ernsten Thema gewählt?


Fabian Stoltz: Das Szenario kam von Jai, aber nicht am Stück, sondern Schritt für Schritt. Ich habe Storyboards gezeichnet und ihm geschickt, anschließend die Skizzen und Tuschzeichnung, die ich noch klassisch auf Papier mache.
Der Kolorist kam von Jai, und ich denke, bei der Farbpalette spielt einerseits ein kultureller Unterschied eine Rolle, zum anderen ist der Comic an Abenteuerromane von Anfang des 20. Jahrhunderts angelehnt. Insofern ist die Farbigkeit auch diesem „Pulp“-Charakter geschuldet.

PPM: Liest du selbst noch Comics und wenn ja: welche sind deine Favoriten?

Fabian Stoltz: Ja, ich lese selbst Comics, kaufe nur nicht mehr so viele. Ich interessiere mich für vieles. Nachhaltig beeindruckt hat mich in letzter Zeit Emile Bravos Spirou. Immer wieder wunderbar: Love & Rockets. Katharina Greves Humor finde ich großartig, ebenso den von Liv Strömqist. Die Warhol-Biografie von Typex fand ich auch sehr gelungen. Manu Larcenets „Der Alltägliche Kampf“ ist einer meiner absoluten Top-Favoriten. Ulli Lust und Mawil, und so weiter und so fort.

PPM: Vielen Dank für das Interview!

Künstlerhomepage

Autor: Michael Hüster