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10.12.2025
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DER COMIC ALS KETTENREAKTION

DER COMIC ALS KETTENREAKTION
Mit schöner Regelmäßigkeit erscheint in der Vorweihnachtszeit ein neuer Band der Reihe »Deutsche Comicforschung«. 

Und jedesmal ist der Leser überrascht, dass es in den Tiefen der Comicgeschichte immer noch etwas zu entdecken gibt. So auch im Band 22, der den Bogen vom Jugendstil zum modernen Werbecomic der 90er schlägt.

Ein Dutzend Beiträge sorgt für Abwechslung. Von den dynamischen Tierabenteuern des 1903 zugewanderten Schweden Carl Olof Petersen geht der Blick nach Österreich, wo Karl Theodor Zelger 1925, nach dem Tod von Fritz Gareis, die Familiengeschichten der Familie Riebeisel übernahm und parallel dazu eine eigene Serie kreierte, »Wamperl und Stamperl«. Auch dies ein Sprechblasencomic, den Zelger dreizehn Jahre lang begleitete und dabei nie langweilig wurde.
    Von der Schweizer Micky Maus Zeitung und den »Wunderbüchern« hat man vielleicht einmal gehört, man bekommt sie aber kaum mal zu Gesicht, weil sie so selten sind. Der Züricher Jacques Bollmann musste sein Vorhaben wieder aufgeben, weil der angepeilte Markt – Deutschland – in den 30er Jahren unerreichbar war.
       Dass dies keineswegs an der Comicfeindlichkeit der Nazis gelegen hat, beweist der Zeichner Hektor A.Kirsch, der Ende der 30er im Stuttgarter NS-Kurier einen recht modernen Comic zu Papier brachte, mit Sprechblasen und ganz ohne Hakenkreuze. Dabei war Kirsch selbst ein bekennender Nazi, der sich bei Kriegsbeginn freiwillig meldete. Sein Grab liegt in Russland.
     Ganz anders Erich Will alias Will Halle. Er begann Mitte der 30er als Humorist und ließ sich wenige Jahre  später – sicher auch, um der Front zu entgehen – zu recht widerlichen antisemitischen Propaganda-Zeichnungen hinreißen. Das hat man 1945 rasch vergessen: Gut geölt lief die Karriere Will Halles als Pressezeichner weiter.     
     Auch der Jurist Robert Schilling, 1954 der erste Vorsitzende der Bundesprüfstelle für Jugendgefährdende Schriften, war Mitglied der Nazipartei. Nach dem Krieg konnte sich Schilling nicht nur auf Gleichgesinnte, sondern auch auf das Wohlwollen der Kirche verlassen. 
     Neues gibt es in diesem Band von Erich Ohser. Von den Plauener Gralshütern un-
bemerkt, zeichnete Ohser 1934/35 harmlose Bildwitze für die Lustigen Blätter. Sie signierte er mit »krischan« (nach seinem Sohn Christian). Ein paar Jahre später finden wir ihn in derselben Zeitschrift mit derber Propaganda wieder; diesmal unterschrieben mit e.o. plauen.
    Die Wirtschaft hatte das NS-Regime 1933 gestützt; jetzt rührte sie die Trommel für die CDU. Im von der Gemeinschaft DIE WAAGE mit finanzierten Wahlkampf wurden 1957 auch Comics eingesetzt.
     Drei Beiträge in »Deutsche Comicforschung« gelten der neueren Comicgeschichte, die 1970 eingeleitet wurde durch das Engagement der Berliner Sammlerszene und vor allem von Peter Skodzik. In den 80er Jahren sah man die verrückten Comics von Wolfgang Sperzel, der es verstand, eine Geschichte als Kettenreaktion zu beschreiben. Zehn Jahre später wurde die Albenserie »Billy Bronx« von einem Pizza-Bringdienst herausgegeben. Hundert Jahre spannende Jahre deutscher Comicgeschichte – das findet der Leser wieder einmal in »Deutsche Comicforschung«. 

 

 


Eckart Sackmann (Hg.): 
Deutsche Comicforschung 2026
144 Seiten, Farbe, HC. 49,00 Euro

Autor: Michael Hüster