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06.12.2018
Interview mit Andreas Mergenthaler

Comics – Situation heute und in Zukunft

Comics – Situation heute und in Zukunft

Ein beliebtes Thema seit vielen Jahren: die Situation des Comic-Marktes.

Immer mal wieder totgesagt, gibt es inzwischen über 100 Verlage, die in Deutschland Comics produzieren und logischerweise an deren Verkaufserfolg glauben. PPM bat Andreas Mergenthaler von Cross Cult um seine Meinungen zu: Comics – Situation heute und in Zukunft.

PPM: Wie ist eure Programmausrichtung? Gibt es Spezialisierungen auf bestimmte Comics?

Andreas Mergenthaler: Cross Cult hat die Schwerpunkte US-Comics und da speziell die Genres Horror, Science-Fiction, Fantasy und Crime Noir. Zudem haben viele Titel eine Verbindung zu Kinofilmen oder TV-Serien. Und eine gewisse Autorenpflege kommt im Lauf der Jahre natürlich auch dazu – u.a. die Comics von Mike Mignola, Robert Kirkman und Brian K. Vaughan.

PPM: Bei rund 100 comicproduzierenden Verlagen ist die Konkurrenz im eher überschaubaren deutschen Comicmarkt immens. Wie positioniert ihr euch in der großen Menge an Comicneuheiten, um am Markt wahrgenommen zu werden?

Andreas Mergenthaler: Das ist schon eine Schwierigkeit, besonders, da es ein paar Verlage gibt, die jeden Monat den Handel mit Novitäten geradezu überschwemmen. Das Budget der Händler und Käufer ist natürlich begrenzt. Wir bemühen uns deshalb, uns auf unsere bekannten Kernserien zu konzentrieren, für die es bereits ein Publikum gibt, und die Fans dieser Comics so gut wie möglich zu bedienen. Zum Beispiel das Hellboy-Universum oder The Walking Dead. Neue Einzeltitel oder Reihen haben es derzeit leider oft sehr schwer am Markt.

PPM: Die große Konkurrenz dürfte gerade für Kleinverlage ein großes Problem sein. Viele starten meist aus einer Comicfansituation heraus und wollen es mal probieren. Meist von rascher Ernüchterung eingeholt… da ist ganz schnell mal viel Geld verbrannt. Habt ihr die Situation schon selbst erfahren?

Andreas Mergenthaler: Bei uns gab es auch solche Zeiten. Obwohl wir sehr vorsichtig angefangen haben, mit 2-3 Titeln im Jahr. Nach ersten Erfolgen waren wir dann zu übermütig und mussten feststellen, dass sich nicht alles auch nur annähernd so gut verkauft wie z.B. Sin City damals. Die Verluste, die dann entstehen, sind das Lehrgeld, das man eben bezahlen muss.

PPM: Es ist zunehmend zu beobachten, dass die Verlage das von ihnen gewohnte Programm erweitern, um sich mit neuen Bereichen wie z.B. Mangas oder US Comics neue Lesergruppen zu erschließen. Franko-belgisch allein scheint nicht mehr den notwendigen Gewinn generieren zu können (von Serien wie z.B. Lucky Luke, Spirou, Tim oder Asterix mal abgesehen). Allerdings tritt man dann in Konkurrenz zu Verlagen, die schon vorher auf diese Genres gesetzt haben. Wie sieht das bei euch aus?

Andreas Mergenthaler: Auch wir haben es ja so gemacht: Traditionell verlegen wir US-Comics und 2007 haben wir Romane zum Portfolio hinzugefügt und 2017 Manga. Diese Märkte funktionieren komplett anders als der Comicmarkt. Bei den Romanen haben wir eine gute Lücke gefunden, als „Verlag für Fans“ bestimmter TV- und Filmthemen, wie Star Trek, James Bond und, besonders erfolgreich, Castle. Für die Romane mussten wir uns aber erst einmal einen besseren Zugang zum traditionellen Buchhandel erarbeiten. Was ziemlich mühsam ist.
Der Comicfachhandel funktioniert deutlich einfacher – da spielt der Zwischenhandel keine so große Rolle und es gibt keine mächtigen Ketten wie Thalia. Die Bemühungen damals helfen uns jetzt aber beim Start des Manga Programms. Wir haben uns an Manga herangewagt, weil wir einen Spezialisten für das Thema für Cross Cult gewinnen konnten – bei den Romanen war das damals Markus Rohde, bei den Manga ist es Michael Schuster. Ohne Fachwissen und frische Ideen geht es nicht. Natürlich gibt es die Konkurrenzsituation durch die etablierten großen, deutschen Manga Verlage – aber da bewegt sich ja derzeit auch Einiges und wir haben mit unseren Titeln eine gute Lücke gefunden, die andere Verlage bislang noch nicht voll belegt hatten. Und die Fans danken es uns, dass wir uns um bislang brachliegende Themen kümmern.

PPM: Der eine oder andere Verleger beschwört noch den Boom bei den Comics. Andere sehen den Zenit bereits überschritten. Haben wir aktuell eine große Comicblase, die zu platzen droht? Wie siehst du die Zukunft des Comics?

Andreas Mergenthaler: Ich denke immer sehr positiv – als Comicverleger kann man kaum anders an die Sache herangehen – aber auch ich muss mittlerweile einsehen, dass die Übermacht durch andere Medien langsam zu groß wird. Wenn man für wenig Geld bei Netflix oder Amazon Prime so viele Filme und Serien schauen kann, wie man möchte, bleibt zwangsweise weniger Zeit für ein auch noch recht teures Hobby wie Comics lesen übrig. Zudem ist das Titelangebot derzeit ja deutlich größer als z.B. in den 90er Jahren, als es noch viel mehr Comicleser gab. Ewig wird das nicht mehr gutgehen. Es wird immer ein paar große Themen geben, die noch lange funktionieren werden, aber immer mehr Titel werden für die Verlage unrentabel.

PPM: Die Welle der Gesamtausgabenpublikationen dauert weiter an. Allerdings sind jetzt vor allem Comics aus der „zweiten und dritten Reihe“ am Zuge. Welche Erfahrungen habt ihr ggf. gemacht?

Andreas Mergenthaler: Wir haben nur wenige Gesamtausgaben von Klassikern im Programm. Diese liefen teilweise sehr gut – waren aber so aufwändig in der Produktion, dass am Ende auch nichts damit verdient werden konnte. Andere liefen eher unter den Erwartungen. Dennoch sind wir nach wie vor Stolz darauf, einige Schätze der Comicvergangenheit „gehoben“ zu haben und somit neben alten Lesern auch einige neue Fans dafür begeistern konnten. Zum Beispiel für die Serien von Peter Wiechmann, der damals mit den von ihm produzierten Abenteuer-Comics ganz Europa versorgt hat oder mit Roland, Ritter Ungestüm. Bei Roland freut mich auch sehr, dass der Originalverlag aufgrund unserer Ausgabe neue Lizenznehmer in anderen Ländern für die Serie begeistern konnte. Auch wenn Cross Cult aktuell kürzer tritt, bei Klassiker-Gesamtausgaben, so finde ich, dass die Arbeit der Verlage in dieser Sparte sehr wichtig und lobenswert ist. Es gibt so viel neuen „Schrott“ – deshalb ist es wichtig, das Beste, was das Medium Comic zu bieten hat, für neue Lesergenerationen „am Leben“ zu erhalten.  

PPM: Graphic Novels wurden vor einiger Zeit noch gefeiert und erfreuten sich einer hohen Presseaufmerksamkeit. Inzwischen hat sich Ernüchterung breit gemacht… was lief evtl. schief oder wurde falsch eingeschätzt?

Andreas Mergenthaler: Das mit der hohen Presseaufmerksamkeit galt ja schon früher und wird auch in Zukunft gelten. Anspruchsvollere, literarischere Comics sind, verständlicherweise, interessanter für die Feuilletonseiten der Zeitungen. Daran ist auch nichts verkehrt. Aber als dann der Begriff zunehmend aggressiv als Marketingwerkzeug benutzt wurde, um diese Art der Comics in den Buchhandel zu drücken, kamen die Probleme auf.
Ob unbeabsichtigt oder nicht, wurde damit eine Zweiklassengesellschaft gezimmert: Überspitzt gesagt wurde so getan, als ob Graphic Novels grafische Literatur für denkende Menschen sind – wohingegen normale Comics dann im Umkehrschluss automatisch Schund für Kinder und Analphabeten sind. Dass viele der Graphic Novels dann nicht sonderlich gut gemacht oder unterhaltsam waren und sich entsprechend auch nur schleppend verkauft haben, hat der Buchhandel dann natürlich an den Verkaufszahlen gemerkt und somit hat sich das mühsam erarbeitete, positive Image der Graphic Novels dann rasch ins Negative geändert. Was schade ist, für das Medium Comic als Ganzes. Für uns als Verlag von eher Unterhaltungscomics war es übrigens schon immer ein Dorn im Auge, dass auf literarischen Messen wie der Frankfurter Buchmesse oft nur die Graphic Novels, z.B. anhand von Empfehlungslisten gefördert wurden. Und in Erlangen wird, da es eine Veranstaltung des Kulturamts der Stadt ist, der Schwerpunkt auch vor allem auf Graphic Novels gelegt, was Veranstaltungen und Ausstellungen angeht. In den USA oder Frankreich, den traditionellen Comichochburgen, wird lange nicht so stark nach Anspruch und Unterhaltung separiert.

PPM: Warum ist es im deutschsprachigen Raum so schwer, erfolgreich Newcomer aus dem eigenen Sprachraum erfolgreich zu platzieren. Dutzende kamen und gingen. Gelohnt hat es sich nur für wenige…

Andreas Mergenthaler: Wir haben mittlerweile auch einige deutsche Künstler im Programm, die recht erfolgreich sind, vor allem, wenn sie viel Eigeninitiative zeigen und sich mit Messeauftritten oder anderen Signierevents und Interviews engagieren. Eine Beschränkung ist natürlich der kleine Gesamtmarkt. Nur von den Verkäufen der deutschen Ausgaben ihrer Comics kann kaum einer leben – dazu sind Lizenzausgaben nötig. Was aber auch nicht so einfach ist, da in den großen Comicländern selbst so viel produziert wird.

PPM: E-Comics. Vor einigen Jahren als Comic der Zukunft mit großen Marktchancen gefeiert, fristet dieser ein Schattendasein und kommt nicht so recht voran. Woran liegt das deiner Meinung nach?

Andreas Mergenthaler: Unseren Erfahrungen mit der Romansparte nach ist der E-Book-Gesamtmarkt in Deutschland leicht stagnierend. Und Comics tun sich natürlich noch schwerer als reine Text-Digitalausgaben, denn für Farbcomics braucht man auch Farbbildschirme. Da fallen die günstigen, handlichen und energiesparenden E-Book-Reader also schon mal weg und so sehr verbreitet sind Pads und Farb-Kindles Hierzulande nun auch nicht. Zudem fällt der Comicsammler-Bonus weg, weil man nichts ins Regal stellen kann. Für schnell konsumierbare, schwarzweiße Titel wie The Walking Dead ist ein Digital-Markt da und für Manga in Zukunft wohl auch. Aber für traditionelle Albencomics allein schon wegen des großen Formats eher nicht. Klar, für großformatige Comics gibt es die digitale Panel-zu-Panel Ansicht, aber Comics wirken ja vor allem auch als Gesamtseite, als Gesamtkomposition – dieser Aspekt geht dabei total verloren.

PPM: Es gibt nur noch wenige Comicmagazine im deutschsprachigen Raum. Ein Macher bezeichnet die Herausgabe mal als reinen Idealismus. Time over?

Andreas Mergenthaler: Da der Print-Zeitschriftenmarkt allgemein, wegen der kostengünstigen digitalen Inhalte, immer weiter zurückgeht, wird es leider in Zukunft sicher nicht einfacher für gedruckte Comicmagazine – nicht nur in Deutschland, sondern weltweit. Zudem sind die Comicverlage auch nicht gerade bekannt für riesige Werbebudgets – was den Leserschwund zum Teil ausgleichen könnte. Also ist das eher Idealismus. Was schade ist. Besonders für mich, denn ich habe im Lauf der letzten Jahrzehnte an vielen Comicmagazinen mitgearbeitet (Comic!, Hit Comics, Comixene ...).

PPM: Andreas, vielen Dank für deine sehr interessanten Ausführungen!

Autor: Michael Hüster