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26.07.2019
Splitter

Die Reise des Marcel Grob

Die Reise des Marcel Grob

Der 93 jährige Marcel Grob findet sich, festgenommen, unvermittelt in einer Amtsstube wieder. Hier wird er verhört. Sein vehementes Leugnen der ihm vorgeworfenen Anschuldigungen beeindruckt den anwesenden Richter und eine Protokollantin wenig.

Die Vorwürfe sind gewaltig. Als Überlebender der berüchtigten Waffen-SS soll er umfassende Geständnisse über seine Verbrechen vor allem bei einem Massaker im italienischen Örtchen Marzabotto ablegen. Dort wurden im September 1944 hunderte von Einwohnern umgebracht, darunter sehr viele Kinder. Zu diesem Zeitpunkt war Marcel Grob gerade 18 Jahre alt.
In Rückblenden wird dann das Soldatenleben dieses jungen Elsässers erzählt; es sind Erinnerungen einer verlorenen Jugend und eines allgemein bekannten grausamen Gebarens auf Seiten der Nazis, speziell der Waffen-SS. Das Problem und die Anschuldigungen, dass er sich freiwillig dafür gemeldet habe, werden von ihm geleugnet; er sei dazu abkommandiert worden. Der Richter legt Indizien und Fakten auf den Tisch. Marcel schildert seine Version.

Und so erfährt der Leser von den Träumen des 17jährigen Marcel und einem Freund, mit dem er sich aus dem Staub machte, weg von seinem Heimatort im Elsass, das im Sommer 1944 nicht mehr sicher war. Sie folgten der Einberufung der Deutschen Wehrmacht.
Diese Graphic Novel, so wichtig sie auch ist, um die Zustände, die Gewissensfrage und das unsägliche Verhalten der SS zu dokumentieren, ist weniger spektakulär, als tiefgründig.
Sie umfasst in ihrem Kern eigentlich nur eine kurze Zeitspanne des Krieges und eine Wahrheitsfindung in dem Verhör, 65 Jahre danach. Die grundsätzliche Frage der Entscheidung und der Verantwortung durchzieht die Story. So entsteht ein subjektives Bild (des von Marcel Grob) von den Ereignissen, die hier von Belang sind. Es ist wohl klar, dass in den Erinnerungen viele Fakten wahrheitsgetreu geschildert werden; aber es bleibt der Zweifel, ob sich der Alte nicht doch nur herausreden möchte.

Die Zeichnungen sind realitätsnah und mit knapper Kolorierung untermalt. Das historische Setting in Form von Landschaften, Gebäuden, Uniformen und Kriegsgerät ist sehr genau. Die Geschichte wird auf beiden Zeitebenen linear erzählt, ist ohne Wendungen oder Höhepunkte im Wesentlichen klar konzipiert. Sie hat menschliche Züge und unmenschliche Dramen parat. Gut ausgewogen, ohne Sensationsgier und ausuferndem Actionspektakel. Hier wird eher der psychologische Zwiespalt eines jungen Menschen geschildert, der den Krieg so gut wie möglich überstehen wollte und deshalb Kompromisse eingehen musste, die wider seiner Mentalität waren. Oder doch nicht?
Diese Frage ist bis zum Schluss offen und verleiht der Graphic Novel auch nach dem Ende noch eine moralisch-ethische Wirkung auf den Leser. Wie ist Schuld zu definieren und zu richten? Was ist auferlegt und was aus freier Entscheidung heraus passiert?
Im Anhang sind noch ein paar Seiten informativer Fakten zur Waffen-SS zu finden.

Die Reise des Marcel Grob
Text: Philippe Collin, Zeichnungen: Sèbastien Goethals
192 Seiten
Splitter
29,80 Euro

Autor: Rolf Pressburger